Natürlich ist uns klar, dass KI-Systeme Tausende Konten extrem schnell durchsuchen können und uns helfen. Natürlich glauben
wir an Pflegeroboter und digitalisierte Operateure, die wichtige medizinische Dienste leisten. Natürlich hoffen wir auf intelligente
Verkehrssysteme, die uns unfallfrei und schnell voranbringen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uneingeschränkt Digitalisierungsverehrer sein müssen. Die sieben größten Irrtümer aus Management-Sicht und drei Lehren daraus.

Irrtum 1: Die Digitalisierung macht uns alle glücklicher
Unsere tägliche Arbeit wird durch die digitalen Einflüsse nicht zum glücklich machenden Allheilmittel. Oft nimmt das Gefühl der Kontrolle und Überwachung zu. Zudem schafft die Entkopplung
der realen Wirtschaft von der digitalen Transformation gefährliche Lücken im System. Wir müssen hier klar gegensteuern.
Warum soll ein Teilaspekt des Wirtschaftens alle anderen Aspekte überflügeln und aus der Verantwortung nehmen?
Unsere Antwort auf die globalen Herausforderungen kann nicht eine Kombination aus Digitalisierung und einer möglichst billigen Arbeitskraft sein, sondern nur der intelligente und motivierte Mensch, der das Werkzeug Digitalisierung verantwortungsvoll einsetzt.

Irrtum 2: Wo 4.0 draufsteht, steckt Digitalisierung drin
Medien, Politik und Wirtschaft übertreffen sich oftmals in wichtigtuerischen und inhaltslosen Darstellungen: Workplace 4.0, Banking 4.0, Produktion 4.0 und vieles andere suggeriert, es handle sich hier um grundlegend neue Arten, Dinge zu tun. So manches Geschäftsmodell wird digitalisiert, indem man einfach vorne „digital“ oder hinten „4.0“ einfügt. Neue Technologien müssen aber mehr als das können – nämlich neue Angebote, Produkte und neue Geschäftsmodelle kreieren.
Wenn ein Unternehmen die Key Account Manager mit Tablets statt Bestellformularen zu den Kunden schickt, dann ist das nicht Digitalisierung, sondern schlicht und einfach Elektrifizierung. Wer nur Bestehendes digitalisiert oder elektrifiziert, wird es künftig
schwer haben. Es geht vielmehr darum, digital zu transformieren und Neues zu erschaffen.

Irrtum 3: Reisen ins Silicon Valley sind die Lösung
Es ist modern, ins Silicon Valley zu reisen, den Stand der Dinge zu kopieren und auf die eigene Situation umzulegen.
Neue IT-Ansätze, Cloud-Lösungen und Produktindividualisierungen sind aber nur in agilen Organisationen schnell umsetzbar. Starre Organisationsstrukturen scheitern alleine an der Technologie. Wer lieber ausdruckt und ablegt, kann auf die Technik der 1980er Jahre zurückgreifen oder gleich zusperren. Was derzeit „in“ ist: eine digitale Transformation von außen, also der gezielte
Einsatz von Start-up-Unternehmen in Großkonzernen. Wenn es nur so einfach wäre. Nach kurzer Zeit entsteht meist eine Dynamik, und man benötigt plötzlich ganz viele neue Mitarbeiter oder solche mit anderen Qualifikationen oder eben gar keine mehr. Da fehlt also die Erfahrung. Wenn Sie schon ins Silicon Valley reisen, dann besuchen Sie dort bitte die Schule in Los Altos. Es ist eine Waldorfschule. Die Kinder der digitalen Elite lernen ohne Bildschirme, aber mit menschlicher Interaktion und  handwerklicher Arbeit.

Irrtum 4: Eine grandiose digitale Geschwindigkeitssteigerung
Seit 2003 ist es, nach Einstellung der Concorde, nicht mehr möglich, „schnell“ über den Atlantik zu reisen. Es dauert heute rund drei Mal so lange. Die Geschwindigkeit war kaum mehr finanzierbar und letztlich zu gefährlich. Die Seefracht von China nach Europa ist mit gedrosselter Geschwindigkeit unterwegs. Die Frachtzahlen und Umsätze sind bei weitem nicht so hoch wie gewünscht, und wer langsamer fährt, verbrennt weniger Treibstoff. Das kann man an Digital-Displays auf der Brücke des Schiffes berechnen und ablesen. Service-Zeiten stagnieren oder gehen zurück. Wenn wir an diese unvermeidlichen
Service-Telefonnummern denken, dann sind wir zum Aufenthalt im Wartesaal verdammt, bis uns die freundliche Ansage nach 20 Minuten volldigitalisiert aus der Leitung wirft. Zurück an den Start – und tschüss Geschwindigkeit.
Speed kills? Die Entdeckung der Langsamkeit täte uns manchmal sehr gut.

Irrtum 5: Die Digitalisierung als smartes und effizientes Werkzeug
Unsere Welt ist zu überfüllt mit nutzlosem Wissen. Spätestens seit Edward Snowden wissen wir, wie wenig smart digitale Überwachung, Spionage und Verbrechen sind. Unsere schöne digitale Welt kann auch böse sein. Egal, ob uns jemand Glück in Dosen verkaufen oder „nur“ unsere Kontodaten abgreifen will. Aktuell benötigen wir weltweit das Energieäquivalent von 25 Atomkraftwerken, um den Energiehunger der Digitalisierung zu stillen. Der Schadstoffausstoß unserer Digitalisierung ist so groß wie der des weltweiten Flugverkehrs. Bei einer Steigerungsrate von jährlich zehn Prozent. Effizient ist das nicht.
Smart und effizient ist alles, was wir an Sinnvollem und Gutem in den Netzen dieser Welt anstoßen und tun können. Beispielsweise lassen sich Unternehmen retten, weil einige zum Kauf von Schwedenbomben aufrufen.

Irrtum 6: Die Digitalisierung und die neue Arbeitswelt
Die einen meinen, die Digitalisierung werde dazu führen, dass völlig neue Arbeitsplätze entstehen, die wir uns noch nicht vorstellen können. Die anderen fürchten das Ende der Arbeit. Diese werde zurückgehen, Berufe würden verschwinden. Die Dritten wissen noch gar nicht, was Sie denken sollen, sie ahnen aber, dass Digitalisierung mehr Bildung und Qualifizierung
benötigt. Sicher ist: Mehr und mehr werden einfache Tätigkeiten verschwinden. Die Zukunft gehört den hochqualifizierten
Berufen. Dem Bildungswesen fällt eine zentrale Aufgabe zu. Dabei geht es nicht um Techniken und die Nutzung von Smartphone oder Tablet. Es geht um den Umgang mit der Intelligenz der Vielen. Und es geht um Komplexität und Agilität.

Irrtum 7: Die Digitalisierung als Wunder- und Geldvermehrungsmittel
Mit den Millennials gibt es erstmals eine Generation, die in einer „wunderbaren“ Smartphone-Internet-Facebook-Instagram-Welt groß geworden ist. Die Mitglieder dieser Generation zeigen anderen öffentlich, wie toll das Leben ist, selbst dann, wenn sie selbst deprimiert sind. Alles geht schnell und leicht. Alles, was man will, kann man sofort haben, außer Befriedigung im Job und starke Beziehungen. Dafür gibt es keine App. Und die wird es niemals geben. Eine digitale Geldvermehrung gelingt vor allem den digitalen Kapitalisten. Einer digitalen Aristokratie also, die die richtigen digitalen Plätze für sich einnimmt und an jeder Entwicklung mitschneidet. Von den Chancen der Digitalisierung bleibt ohne Realwirtschaft wenig übrig: Das Programmieren
von Apps wird die Wirtschaftswelt niemals ablösen. Jede Digitalisierungsform baut auf unserer Infrastruktur auf. Was passiert, wenn wir nach einem Wasserrohrbruch merken, dass auf der Installateur-App kein Installateur mehr zu finden ist? Bleibt zu hoffen, dass uns dieses Bild vor einer blinden Digitalisierungsverehrung bewahrt.

Quintessenz 1: Digitalisierung verlang nach guter Führung
Die Anziehungskraft von Industrie 4.0 und gewinnbringender Vernetzung ist riesig. Wer will noch Menschen erfolgreich
führen? Erfolgreich sind jene, die den Menschen Orientierung bieten und Entscheidungen treffen. Interessant sind Führungskräfte, die die Fähigkeit haben, Menschen in der Organisation zu halten und neue Menschen für die Organisation zu gewinnen. Gute Führungskräfte ersetzen hierarchische Prozesse durch wirtschaftliche Kollaboration und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wer heute Leistung will, muss Sinn bieten. Führung kann man nicht herunterladen. Sinn ist keine App.

Quintessenz 2: Analog ist das neue Bio
Wenn wir alles digitalisieren, was digitalisiert werden kann, wird das Nicht-Digitalisierbare immer wertvoller. Wir Menschen sind ohnehin schrecklich analog. Unsere Mitarbeiter sind zu 100 Prozent Menschen. Unsere Kunden sind zu 100 Prozent Menschen.
Wir haben in vielen Ländern der EU einen relativen Gleichstand an technologischen Standards. Generell räumen wir der digitalen Technologie viel Platz ein. Die einzige Unterscheidungsmöglichkeit am Markt ist aber das analoge Verständnis unseres Menschseins, das ist unser Zukunftspotential. Digitalisierung ist viel weniger Technologie und viel mehr Kultur als oft vermutet. Das ist gut so. Das ist die Umkehr. Das ist der Weg hin zu den Soft Skills.

Quintessenz 3: Der Mensch ist die schönste Maschine
Im Kommunikationszeitalter erleben wir paradoxerweise einen Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation.
Wer fehlende Kommunikation durch die Digitalisierung kompensieren will, macht alles nur noch schlimmer. Unternehmen, die zukunftsfähig bleiben wollen, richten ihren Fokus nicht nur auf die Technik, sondern auf kommunikative Fähigkeiten, sie fördern
Face to Face statt Facebook. Zwischen Bits, Bytes und Online sind wir oft genug allein. Irgendwann brauchen wir wieder mehr Gesichter, Stimmen und Persönlichkeiten. Wir brauchen etwas anderes, etwas Reales: greifbar, spürbar – oder eben nur Schweiß auf der Stirn. Wir müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen.