Erfolgreiches Management in einer komplexen Welt

Rauchende Köpfe in den Chefetagen: Allerorts wird die immer größer werdende Komplexität anstehender Aufgaben beklagt.
Wer da noch den Überblick behalten kann, hat einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil. Doch dazu müssen Führungskräfte
radikal den Blick öffnen.

Der Umgang mit Komplexität ist eine zentrale Frage des 21. Jahrhunderts. Althergebrachte Denkwerkzeuge allein, allen voran die Vernunft, reichen nicht mehr aus, um die Herausforderungen zu meistern. Es ist eine trügerische Sicherheit, die Zukunft simplifizierend einzuschätzen, weil Spezialisten Unsicherheiten scheinbar kalkulierbar gestalten können. Das funktioniert
gut bei einfachen Problemlagen, wirkt aber schlechter, je höher die Komplexität ist.

Komplexe Probleme sind aus mehreren Gründen nicht einfach lösbar:
» Die Ausgangslage kann nicht immer logisch erfasst werden.
» Zusammenhänge fehlen oder sind unübersichtlich.
» Bisherige Erfahrungen und Lösungsmodelle sind nicht direkt anwendbar.

Menschen bezeichnen etwas als komplex,
wenn sie es nicht verstehen oder erklären können. Komplexität weist eine Eigendynamik auf, und die daraus resultierenden, auch unternehmerischen Zustände sind meist irreversibel. Die wesentlichen Treiber der Komplexität sind:
» interne Faktoren wie Personen, Prozesse, Strukturen und Finanzen
» externe Faktoren wie Markt und Wettbewerb, Kultur und Umwelt
» zunehmende Regulierung
» hochgradige Vernetzung und damit einhergehende Überforderung von Menschen und Unternehmen
» größere Vielfalt an Kommunikationskanälen mit dem Kunden
» IT-Systeme, denen ein übergeordneter Zusammenhang fehlt
» ständig wachsendes Produktangebot
» fehlende Führungskompetenz und die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen

Nichtstun ist keine Option
Es ist heute schwierig, gute und tragfähige Entscheidungen zu treffen. Viele kleben am Widerspruch zwischen einer schnellen Entscheidung, die einsam zu treffen ist, und einer gemeinsamen Entscheidung, die längere Dialoge braucht, fest. Aufgrund der komplexen Tätigkeit sind Führungskräfte in der Regel eher generalistisch veranlagt. Sie vertiefen ihr Wissen mit Hilfe der  Teammitglieder in jenen Bereichen, die für die relevanten Entscheidungen von Wichtigkeit sind. Übersehen wird dabei oft, dass auch ein Nicht-Handeln Einfluss auf ein System haben kann. Komplexe Aufgaben bringen eine Intransparenz mit sich, die zu akzeptieren ist. Wir können nicht jede Kleinigkeit miteinbeziehen. Man muss sich entscheiden, nichts zu tun, ist keine Option.

Strategie in komplexen Zeiten
Strategie ist der Umgang mit einem nicht zu beseitigenden Mangel an Wissen. Wenn wir alle Gegebenheiten für eine weitreichende Entscheidung wüssten, wäre keine Strategie nötig, sondern nur simple Planung. Wir müssen in vernetzten Systemen und unter enormer Dynamik des Wandels arbeiten und führen. Strategie ist keineswegs Taktik, denn diese ist viel zu
kurzfristig ausgelegt. Strategie verfolgt langfristigere Ziele. Sie muss daher auch der Umgang mit Nichtwissen sein. Dabei erscheint wichtig, dass es uns gelingt, die Zukunft aktiv zu gestalten und sie nicht passiv erdulden zu müssen. Gerade im Bankensektor bestehen externe Einflüsse, welche die Dynamik am Markt stark mitgestalten. Darüber hinaus sind es diese externen Einflüsse, die den Markt heute sogar transformieren. Die Banken verkommen oftmals fast zum Passagier.

Sich vom Problem lösen
Ein erster Ansatz ist, Komplexität auf wenige, entscheidungsrelevante Merkmale und Muster zu reduzieren. Das ist aber nur dann ein gangbarer Weg, wenn er nicht in beschränkender Einfachheit gipfelt. Es gibt viele Möglichkeiten, um mit Komplexität umzugehen:
» Kommunikation und Gesprächsführung wichtig nehmen, intensiv zuhören
» wertfrei beobachten
» Zusammenhänge visualisieren
» flexibel reagieren
» kreative Potenziale im Unternehmen erschließen
» Mitarbeiter entwickeln, motivieren und befähigen
» Gemeinsames vor Trennendes stellen
» Wissen teilen, den Wissensaustausch gezielt fördern
» die Philosophie der stetigen, wenn auch bedächtigen Schritte
» die Organisation kompatibel zu komplexen Aufgaben gestalten
» sich letztlich vom Problem lösen

Wie Banken Komplexität meistern
Komplexität kann man nicht beherrschen, man kann sie lediglich meistern. Das ist das Ziel. Bei Banken ist die Rendite in Bedrängnis, eine Ursache hierfür ist die zunehmende Komplexität der Branche. Diese bringt zwei wesentliche Nachteile mit sich: Sie verringert die Transparenz und erhöht die Kosten. Ein Finanzinstitut ist durch seine vielen Kunden, Produktlinien, Vertriebskanäle und Mitarbeiter stets komplex. Das ergibt sich aus Risikodiversifikation, Skaleneffekten und der unaufhaltsamen
Vernetzung. Die Banken müssen den Umgang mit Komplexität verbessern und die damit verbundenen Kosten in den Griff bekommen. Komplexität zu meistern, heißt, einen Zusammenhang zu erkunden, zu erkennen und das System dahinter verstehen zu wollen. Erst dann können wir reagieren.

Wie Führungskräfte Komplexität meistern
Führungskräfte können in einem komplexen System nicht mit altbekanntem Wissen neue Lösungen im Alleingang entwickeln. Das bedeutet nicht, dass hart erlerntes Wissen und liebgewonnene Grundeinstellungen überflüssig geworden sind. Es bedarf jedoch der ständigen Reflexion darüber, für welche Art von Fragestellung Antworten gesucht werden. Handelt es sich wirklich
um eine komplexe Fragestellung, so führt dies zu mehreren ganz persönlichen Herausforderungen. Die über Jahrzehnte erlernten Erfolgsmuster, in Beruf, Weiterbildung oder Studium antrainiert und für persönlich gut befunden, greifen bei komplexen Fragestellungen nicht. Schwierige Fragestellungen können wir, das gilt auch heute noch, über Expertenwissen
beantworten. Hochkomplexe Fragestellungen sind hingegen vielfältig verästelt und vernetzt, teilweise gegenläufig
und paradox. Wir können nicht einfach sachlogisch wissen, wie die Lösung aussieht. Es gilt als Führungskraft zu verstehen
und zu akzeptieren, dass wir mit altbekannten Lösungsmustern in komplexen Systemen Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Führungskräfte müssen sich unausweichlich eine neue Haltung, eine neue Denkweise und ein neues Kooperationsverständnis antrainieren, um in komplexen Situationen erfolgreich zu sein.

Neue Haltung
Haltung bedeutet, einen inneren Kompass zu haben, also ein Muster von Einstellungen, Werten und Überzeugungen. Eine Haltung ist dem Handeln übergeordnet, individuell ausgeprägt und dadurch nicht beliebig. Durch Haltungen können wir schneller Entscheidungen treffen. Eine Haltung trägt aber auch eine Problematik in sich: Schnelle Bewertungen aufgrund von Erfahrungen klammern neue Möglichkeiten aus. Eine Sachlage können wir leider nicht immer logisch erfassen. Fehlende Zusammenhänge oder Unübersichtlichkeit fordern uns, zusätzliche Muster hinzuzufügen, um wieder erfolgreich zu sein. Bei komplexen Fragestellungen geht es somit darum, unvoreingenommen den Blick zu öffnen, zu erkunden, neugierig zu sein und flexibel zu bleiben. Führungskräfte müssen sich stärker als Experimentatoren verstehen. Das bedeutet pilotieren, testen, annehmen oder verwerfen und wieder neu anfangen. Mit anderen Worten: Ein ständiger Lernprozess ist unser Begleiter.

Neues Denken
Die Anzahl der Überraschungen steigt im komplexen Umfeld. Trotzdem können wir uns auf Komplexität vorbereiten – und zwar mit einer reflexiven Denkweise. Lernen funktioniert am besten über Irritation. Psychologische Studien zeigen, dass wir vielschichtiger nachdenken und bessere Argumentationen entwickeln, wenn wir Informationen erhalten, die im Widerspruch
zu unseren eigenen Annahmen stehen. Konkret bedeutet dies, dass Führungskräfte den Umgang mit Komplexität dann lernen, wenn sie persönlich betroffen sind. Wenn sie erleben, warum ihre Führungskomplexität so groß ist. Wenn sie erfahren, wie sie ihre Komplexität mit Wissen und Methoden gestalten können. Zum neuen Denken gehört, dass in komplexen Systemen Intuition ein guter Ratgeber ist. Der menschliche Geist kann mit Komplexität sehr gut umgehen. Es ist somit sinnvoll, sich auf seinen
sechsten Sinn beziehungsweise seine Bauchentscheidung zu verlassen. Entscheidend ist jedoch, wann die Erfahrungen gemacht wurden. Sind Wissen und Erfahrungen zu alt, ist der Bauch ein schlechter Ratgeber. Wurden persönliche Krisen durchlebt und
Erfahrungen in komplexen Situationen gemacht, achtet die Intuition eher auf das Ganze als auf dessen Teile. Sie ist dann zukunfts- und möglichkeitsorientiert, sprich: ein guter Ratgeber.

Neue Kooperationen

Das Bedürfnis nach Vernetzung und Verbundenheit ist enorm. Die Wachstumszahlen von digitalen Netzwerken und Plattformen sind beeindruckend. Hinzu kommt ein gesellschaftlicher Wandel. Empirische Studien zeigen, dass in der neuen Arbeitswelt Allianzen und Zusammenarbeit positiv erlebt werden. Das gilt für Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen. Das Bedürfnis nach Verbundenheit ist cooperativ 1/19 19 Management zutiefst menschlich. Kooperationen sind sinnstiftend und vertrauensbildend. Es geht in komplexen Arbeitswelten nicht mehr um die eine intelligente Person, die Ideen hat. Wenn ausschließlich Führungskräfte in Unternehmen denken und entscheiden, ist die Organisation automatisch nur so intelligent wie die Summe ihrer Führungskräfte. Diese Limitierung kann niemand ernsthaft wollen. Es gilt, Wissen, Erfahrungen und Spezialisierungen zu bündeln und die Beziehungen zu Menschen als Wir-Intelligenz zu begreifen. Kooperationen in Wirkung zu bringen, ist die zentrale Führungsaufgabe.

Den Blick radikal öffnen

Alles, was wichtig ist, liegt oft vor uns, wir können es aber meist noch nicht sehen. Der Blick auf zu viele Details kann dabei hinderlich sein. Es geht darum, die großen Muster zu erkennen. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagt schon der Volksmund. Heute nennen wir es die „Intelligenz der Vielen“. Brian Robertson hat mit der Holokratie ein Werkzeug entwickelt, das Entscheidungen mit Transparenz und Beteiligung möglich macht. Dadurch werden Unternehmen schneller und unangreifbarer. Durch Kooperation, Vertrauen, Respekt und Begegnung auf Augenhöhe kann das entstehen, worauf alle warten: eine zukunftsfähige Lösung. Zukunftsfähigkeit wird bestimmt durch: » Offenheit für Begegnung und Diskurs » begeisterte Menschen mit gemeinsamen Zielen » Kooperation über Hierarchie- und Abteilungsgrenzen hinweg » das Zulassen von Fehlern Für die Finanzbranche hilft Folgendes, um den Blick zu öffnen: » Das Ziel muss sein, Banken flexibel, übersichtlich und profitabel zu machen. » Die Branche muss sich von überholtem Wissen und unzureichenden Methoden trennen. » Banken benötigen gute Analysen durch gute Analysten und Methoden. Daten aus internen Systemen und Social Media sind wertvoll. » Einheitliche und vergleichbare Kennzahlen (Maßstäbe) zur Bewertung helfen, ein klares Bild des Unternehmens zu erhalten. » Standardisierte Prozesse und Strukturen verbessern die Effizienz und reduzieren Mikro-Management sowie Fehlerquellen. » Dezentrale Entscheidungen durch Mitarbeiter, die nahe an der Thematik arbeiten, reduzieren Komplexität. » Banken stellen den Kundennutzen ins Zentrum ihres Bemühens. » Eine gute Unternehmenskultur minimiert mit ihren Werten und Verhaltensregeln Komplexität und Kosten.

Orientierung, Trennschärfe und Intuition

Die Bedingungen, unter denen wir uns heute bewähren müssen, sind oft von Ungewissheit, Unsicherheit sowie von der Notwendigkeit, Komplexität zu beherrschen, bestimmt. Die Verschränkungen nehmen weiter zu, daher bedarf es mancher Anker, um Orientierung zu schaffen. Was ist wertvoll oder wertlos, was sinnvoll oder sinnlos? Die Trennschärfe, der Blick für das Wesentliche macht es aus. Er entscheidet zwischen Gelingen und Misslingen. Entscheidungen sind von hoher Dynamik, Vernetzung und Komplexität geprägt. Der Anteil von Routineentscheidungen sinkt. Zugleich steigen die Anforderungen an die Entscheidungsqualität. Die meisten Entscheidungen sind solche, die konkurrierende Ziele anstreben. Die Intuition spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Erfolg in komplexen Zeiten

Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Erfolgreiche Unternehmen stiften einen überlegenen Kundennutzen. Dieser rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt. Besonders für die Banken wird es dabei wichtig, auch Leistungen anzubieten, die über das traditionelle Geschäft hinausgehen. Ein Beispiel ist der Wohnungs- oder Hauskauf: Die Bank regelt im Idealfall neben Finanzierung und Versicherung auch den Umzug und den Kaufvertrag für den Kunden. Wie ist ein überlegener Kundennutzen herzustellen und aufrecht zu erhalten? Das Unternehmen muss seine Ressourcen in Resultate transformieren. Komplexität hin oder her – nachhaltige Wettbewerbsvorteile gründen auf Führungsvorteilen, die gewährleisten, erfolgreich zu bleiben oder es zu werden.