MEHR MENSCH, WENIGER MASCHINE

Die Corona-Krise schüttelt Unternehmen durch. Die Unternehmenskultur entscheidet jetzt über die Zukunftsfähigkeit von Organisationen, meint Peter Baumgartner. Er rät, es mit der Technologiegläubigkeit nicht zu übertreiben und wieder mehr auf analoge Kompetenzen zu setzen.

Herr Baumgartner, in der der jetzigen Zeit sehen viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter eher düsteren Zeiten entgegen. Warum ist Zuversicht das Motto der Zeit?

PETER BAUMGARTNER In der Vor-Corona-Zeit war das Wort „Sinn“ allgegenwärtig. Immer wieder ging es nur um das große Why. Das habe ich, ehrlich gesagt, sehr skeptisch gesehen. Sinn ist sehr individuell und hat viele Ausprägungen. Die Wirtschaft auf Sinn zu reduzieren, greift mir zu kurz. Kann wirklich jede Arbeit Sinn machen? Ich habe also „Sinn“ weiter und breiter gedacht und bin bei Zuversicht angekommen. Zuversicht bedeutet für mich mehr Mensch und weniger Maschine.

Mitten in die massiven Veränderungen der Arbeitswelt durch die digitale Transformation platzte die Corona Krise mit vorher unvorstellbaren Auswirkungen für die Wirtschaft. Viele Unternehmen taten sich vor Corona bereits mit dem tiefgreifenden Wandel zu New Work schwer. Was macht die Corona Krise mit der Arbeitswelt 4.0?

BAUMGARTNER Vor Kurzem sagte ein Klient zu mir: Wir haben eigentlich genug in die Bildschirme geschaut. Wir müssen uns mal wieder in die Augen schauen. Ich glaube, dass diese Sehnsucht einen neuen Zeitgeist prägen kann.

Ich bin kein Gegner von 4.0, aber die Digitalisierung ist für mich nur ein Werkzeug. Und der Mensch entscheidet, wofür es eingesetzt wird. Künstliche Intelligenz ist für mich in erster Linie Fake Intelligenz. Was den Menschen einzigartig macht, kann keine künstliche Intelligenz leisten.

BAUMGARTNER Nichtsdestotrotz ist die Corona Krise ein Digitalisierungsbooster. Sie zwingt Unternehmen, ihre Prozesse auf den Prüfstand zu stellen. Mittlerweile kann fast jedes Unternehmen Remote Work, und das Homeoffice Angebot soll in vielen Unternehmen zum Standardangebot werden.

BAUMGARTNER Technologisch State oft the Art zu sein, ist Pflicht jedes Unternehmers. Was ich kritisiere, ist diese totale Technologiegläubigkeit, der oftmals alles untergeordnet wird. Über Dinge, die heute technisch selbstverständlich sein sollten, muss man doch nicht mehr sprechen.

Worüber müssen wir sprechen?

BAUMGARTNER Wir müssen den Menschen wieder besser verstehen. Sonst verstehen wir unsere Mitarbeiter und unsere Kunden nicht mehr. Es geht um Charakter. Und besonders jetzt in der Krise zeigen sich der Charakter von Menschen und die Kultur von Organisationen.

Führt uns die Krise zu einem neuen Wertebewusstsein?

BAUMGARTNER Ich hoffe es sehr. Das ist der Grund, warum ich das Buch geschrieben habe und sehr viele Vorträge halte.

Was genau erhoffen Sie sich?

BAUMGARTNER Das Ende der Selbstgefälligkeit von Unternehmenslenkern. Dass die Menschen in Erfolg und in der Niederlage sie selbst sein können und den gesunden Menschenverstand bewahren. Dass sie mit Zuversicht den Wandel umarmen, bevor er sie überrollt. Und ich erhoffe mir Emotionen statt Autorität.

Was heißt das für Organisationen?

BAUMGARTNER Ganz einfach: Menschen werden künftig Organisationen ignorieren, die Menschen ignorieren.

Sie schreiben, nur die Menschen können Organisationen verändern, nicht die Technik. Woher soll derzeit die Kraft kommen, mit denen Mitarbeiter sich und Organisationen verändern sollen?

BAUMGARTNER Die Gewinner der Krise standen schon vor der Krise fest. Unternehmen, die eine gute Unternehmenskultur haben, haben es jetzt wesentlich leichter als andere. Ich kenne ein Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern, das sogar in der Corona Krise weiter um 25 Prozent gewachsen ist. Weil es bereits vor Jahren in seine Mitarbeiter investiert hat, jedem einzelnen eine Bedeutung gegeben hat, jeden einzelnen gefördert hat und ihm einen Platz in der Gemeinschaft gegeben hat.

Das Schiff macht man vor dem Sturm sicher, nicht im Sturm. Zukunftsfähigkeit ist ein wichtiger Bestandteil jeder Unternehmenskultur. Diese ist jedoch so individuell und einzigartig wie ein Fingerabdruck.

Gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner für eine zukunftsfähige Unternehmenskultur?

BAUMGARTNER Eine wichtige Kompetent ist für mich Schnelligkeit durch Vertrauen. Gemeinsamkeit ist ein weiterer Faktor, der jetzt wichtiger ist denn je. Menschen wollen dazugehören. Es braucht eine Arbeitsumgebung, die Kollaboration ermöglicht. Egal, ob im Einzelbüro, im Großraumbüro oder im Homeoffice. Unternehmen brauchen zukunftsfähige Mitarbeiter und Produkte. Unternehmensführung ist kein Selbstzweck. Wenn ich das modernste Produkt der Welt habe und die Kunden nicht erreiche, habe ich mein Ziel verfehlt und agiere an der Zielgruppe der Zukunft vorbei. Davon ist derzeit ja besonders die Automobilbranche betroffen, die ein ganz neue Mobilitätskonzepte entwickeln muss, um bestehen zu können.

Viele Unternehmen setzen auf Agilität. Ist es nur ein Schlagwort oder ein Allheilmittel?

BAUMGARTNER Agilität ist im Prinzip kalter Kaffee. Denn was heißt es genau: Dass der Mensch schnell auf Veränderungen reagieren und neue Wege gehen kann. In der Agilitätsschwemme geht leider vieles unter. Alle wollen alles agil haben. Ich wünsche Ihnen keinen agilen Operateur oder eine agile Gesetzgebung. Das ist etwas überspitzt, aber es zeigt, dass nicht alle Branchen und Berufsgruppen gleichermaßen agil sein können. Es wird auch im eigenen Unternehmen zu wenig differenziert, wo Agilität wirklich angebracht ist oder eben nicht.

Sie haben ein Kapitel Ihres Buches dem Thema Führung gewidmet und schreiben „wo oben ist, ist selten vorne“. Was genau meinen Sie damit?

BAUMGARTNER Führungskräfte sind nicht allwissend. Die Selbstgefälligkeit muss weg. Das Mikromanagement muss weg. Eine zukunftsgerichtete Führungskraft erzeugt ein Zusammengehörigkeitsgefühl und die Stärken jedes Einzelnen. Ein Fokus sollte besonders auf dem Management der Generationen liegen. Für die junge Generation sind ja vor allem drei Dinge wichtig:  Me, Myself and I. Das Beste, was wir in Unternehmen erreichen können, ist es, die jungen Menschen vom Ich zum Wir zu führen. Eine gute Führungskraft kann Menschen um sich scharen und begeistern. Es gibt im Sport einige Beispiele dafür, wie es gelingen kann aus einer Mannschaft ein Team zu machen. In der Wirtschaft herrscht leider immer noch oft das

Prinzip oben wird gedacht und unten wird gemacht.

HR ist als Weichensteller für die Zukunft in er der Krise verstärkt in den Fokus gerückt. Wie sehen Sie die derzeitige Rolle von HR?

BAUMGARTNER Wenn die Krise eines hervorgebracht hat, ist es die Erkenntnis: HR muss in Unternehmen dringend aufgewertet werden. Nach meiner Erfahrung ist HR in vielen Unternehmen immer noch falsch angesiedelt, so als Beiwerk. Personaler sind keine Hilfskräfte, sondern die Leute, die die wertvollste Ressource verantworten. HR macht eine großartige Arbeit, aber es ist nun mal so, dass man WEG? den  der? Nutzen wenig messbar ist. Es wird auch immer noch zu wenig über die Bedeutung von HR gesprochen. So nehme ich es jedenfalls wahr, wenn ich für Vortragsthemen oder Beratungsmandate angefragt werde. HR braucht aber auch ein neues Selbstverständnis und sollte nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt sein in Bezug auf Digitalisierung und Agilität.

Und stattdessen? Wie sieht die Investition von HR in die Zukunft aus?

BAUMGARTNER HR muss sich darauf konzentrieren, was den Menschen ausmacht und sollte nicht nur die digitale Welt anbeten oder digitale Kompetenzen im Blick haben. Gefühle und Menschlichkeit lassen sich nicht digitalisieren. In Zukunft werden analoge Kompetenzen unendlich wertvoll sein und HR sollte das Beste aus beiden Welten zusammenführen.

Herr Baumgartner, vielen Dank für das Gespräch! 

Das Gespräch führte Sabine Schritt.

PETER BAUMGARTNER ist Wirtschaftsingenieur und Diplom-Pädagoge. Der Österreicher arbeitet international als Unternehmensberater und Coach und ist Lehrbeauftragter an europäischen Hochschulen. In seinen Vorträgen auf Kongressen spricht er über Leadership, Kommunikation und Transformation. Baumgartner hat mehrere Wirtschaftsbücher verfasst.