Vertrieb 4.0 – Kundenorientierung neu gedacht
Kein Zweifel: Die Digitalisierung hat das Kundenverhalten massiv verändert.
Doch was bedeutet das für den Vertrieb? Und welche Rolle spielen
Berater und Verkäufer in dieser neuen Welt?
Text: Peter Baumgartner
Foto: iStockphoto.com
Digitalisierungsgewinner im Vertrieb kennzeichnet eines: Ihre Beziehungen zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld unterliegen einem fundamentalen Wandel. In dieser Vertriebswelt 4.0 sind die Ausrichtung des Unternehmens, die Produkte, die Kennzahlen und die Daten sehr wichtig. Doch die Kundenorientierung ist es auch. Unternehmen müssen sich fragen: Was wollen unsere Kunden? Oder vielmehr: Will der Kunde überhaupt etwas von uns? Warum soll ein Kunde zu uns kommen? Diese Fragen führen geradewegs zum Thema Anknüpfungs- oder Anschlusskompetenz. Wie verbinden sich gute Verkäufer mit der Lebenswelt
der Kunden? Verkaufskompetenz hat immer etwas mit Anschlusskompetenz zu tun. Kunden lieben es, „abgeholt“ zu werden – thematisch, lösungsorientiert und emotional. Gute Verkäufer plaudern nicht selbstgefällig drauflos. Sie stellen sicher, dass die Kunden mit ihnen interagieren und an ihren Inhalten hängen.
Genau wissen, wie der Kunde „tickt“
Das Herstellen von stabilen und vertrauensvollen Kundenbeziehungen ist die Kernaufgabe des Vertriebs. Er muss die Kundenbedürfnisse verstehen und erfüllen. Es ist wichtig zu erkennen, welche Vertriebswege der Kunde braucht, und ihm diese auch anzubieten. Es braucht Mitarbeiter, die neben dem Vertriebswissen auch Wissen über Märkte, politische und ökonomische
Einflüsse sowie Branchentrends mitbringen. Damit werden Vertriebsmitarbeiter zum Partner für die Kunden und sichern sich deren Loyalität. Unternehmen wissen heute scheinbar alles über ihre Kunden: An jeder Supermarktkasse erfasst man mit Hilfe
der Kundenkarte die Kaufgewohnheiten und ist in der Lage, individuelle Angebote zu erstellen. Wenn wir im Internet ein Produkt oder eine Dienstleistung suchen, erhalten wir beim nächsten Klick auf die Wetterseite genau dazu ein Angebot. Diese Daten verzahnen sich mehr und mehr. Aber was machen Anbieter mit diesen Informationen? Wie verkaufen sie aus diesen Informationen etwas? Vom Vertriebszweck losgelöste Daten sind, egal wie umfangreich, wertlos.
Digitalisierungs-Hype stößt an Grenzen
Gut, die Digitalisierung ist im Vertrieb angekommen. Doch Apps, Tablets und Datenansammlungen sind noch keine Erfolgsgarantie. Die digitalen Möglichkeiten verändern nämlich das Kundenverhalten und die Erwartungen an den Verkaufsprozess. Noch bevor ein Vertriebsmitarbeiter mit potenziellen Kunden in Kontakt kommt, haben diese schon viele Alternativen, oft sogar den gesamten Markt, online recherchiert. Bei Standardprodukten und -dienstleistungen hat der digitale Vertriebsweg Vorrang in der Kundenpräferenz. Beratungsintensive Produkte verlangen Expertenwissen, um das Optimum für den Kunden herauszuarbeiten. Standardlösungen können digital vermarktet werden, Sonderlösungen brauchen persönliche
Beziehung. Ein Seitenblick auf die Millennials, die Kunden der Zukunft, zeigt: Millennials setzen auf digitale Entscheidungsfindungsprozesse. Lästige Telefonakquise oder penetrante Prospektzusendungen sind hier kein geeignetes Mittel zur Umsatzsteigerung.
Servicecenter statt Callcenter
Manche Unternehmenslenker und Vertriebsentscheider halten noch immer ein Callcenter für geeigneter, zumindest aber für kosteneffizienter als einen persönlichen Kontakt. Die Akzeptanz für oberflächliche und austauschbare Beratung sinkt aber radikal. Richtungsweisende Unternehmen ersetzen aktuell Callcenter durch „intime“ Kundenservicecenter. Hier gelangt ein Kunde an immer dieselbe administrative Ansprechperson, die für den Vertriebsmitarbeiter alle terminlichen Belange und Vorinformationen klärt. Die Vorteile daraus sind einerseits kundenseitig, denn die Kunden fühlen sich gut aufgehoben und
rasch mit Informationen versorgt. Andererseits gibt es aber auch Vorteile für die Berater bzw. Verkäufer, da diese eine
Entlastung erleben und sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können.
Heterogene Vertriebsteams vereinen
Aktuell verändert sich auch die Art, wie Teams räumlich, zeitlich und hierarchisch zusammenarbeiten. Das Teilen von Informationen und Teamarbeit werden immer wichtiger. Millennials kennen sich perfekt mit sozialen Medien und digitalen Technologien aus, zeigen aber manchmal Defizite in der direkten Kundenkommunikation. Dies lässt sich durch Training und Coaching verbessern. Ältere Mitarbeiter fühlen sich durch die neuen Technologien teilweise überfordert oder wenig beteiligt. In solchen heterogenen Teams gilt es, die Generationen zu vereinen. Man muss den Vertriebsmitarbeitern vermitteln, dass Zusammenarbeit und Kundenorientierung auch in Zeiten von Big Data im Fokus stehen.
Passagier 4.0 oder Kapitän 4.0?
Bei den aktuellen Entwicklungen müssen sich Unternehmen die Frage stellen, ob sie noch im Cockpit sitzen und das Steuer fest in der Hand halten oder zum Passagier ihrer Branche verkommen. Anders formuliert: Macht sie das Thema Vertrieb 4.0 zu einem Gewinner oder zu einem Verlierer? Viele Branchen befinden sich in einem Change-Prozess, den sie nicht mehr selbst in der Hand haben. Das bedeutet, dass die Zeitfenster zur Umsetzung neuer Verkaufsmodelle umkämpfter und kontinuierlich kleiner werden. Schnelleres und agileres Handeln ist gefragt. Viele versuchen aus den Bestandskunden mehr Geschäft zu generieren. Das gelingt nur durch neue Angebote mit erweitertem Nutzen. Wer sich aber auf Wettbewerb und die Wettbewerber fokussiert, verliert zwangsläufig die Kundensicht. Es geht aber definitiv um Kundenzentrierung. Nicht wenige Vertriebsorganisationen befinden sich aktuell in Parallelwelten zum Markt. Die Flucht nach vorn und die Glorifizierung des Vertriebs 4.0 helfen da wenig. Was also tun?
Quintessenz 1: Zugang ist wichtiger als Besitz
Die Vertriebszukunft hat in vielen Bereichen schon begonnen. Das größte Taxiunternehmen der Welt besitzt keine Autos (Uber). Der größte Zimmervermieter besitzt kein eigenes Hotel, nicht einmal ein Bett (Airbnb). Die größten Telekommunikationsbetreiber besitzen keine Telekommunikationsinfrastruktur (WhatsApp, Skype). Der populärste Medienkonzern schafft keinen Content (Facebook). Das größte Filmhaus besitzt kein Kino (Netflix). Und was macht das größte oder beste Unternehmen Ihrer Branche?
Quintessenz 2: Auf verändertes Kundenverhalten eingehen
Niemand kann die Herausforderungen für den digitalen Vertrieb durch blindes Datensammeln meistern. Der Mensch ist und bleibt der zentrale Faktor. Richten Sie Ihren Fokus auf die Kundenbedürfnisse und die Mitarbeiterkompetenzen. Wie gut wissen Sie, was Ihre Kunden aktuell bewegt?
Quintessenz 3: Positionierung als „Kundenflüsterer“
Wo können wir Vertrieb heute einordnen? Einige werden durch die aktuellen Tendenzen der Digitalisierung bereits so sehr an den Rand gedrängt, dass sie von einem Webshop bedroht sind. Viele Verkäufer sind noch immer „nur“ Verkäufer. Die Vorreiter entwickeln aus guten Verkäufern Beratungsprofis und „Kundenflüsterer“. Was wünschen sich Kunden, wenn sie an unseren Produkten interessiert sind oder diese sogar kaufen wollen? Hoffentlich treffen sie auf einen „Kundenflüsterer“ …